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Forscher simulieren Verhalten von Stromnetzen bei hoher Belastung durch ladende Fahrzeuge
Ob die deutschen Autohersteller nach dem VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte die Elektromobilität vorantreiben werden, ist noch nicht absehbar. Aber dennoch könnte sich in wenigen Jahren die Anschaffung eines Elektroautos im Vergleich zum Diesel oder Benziner finanziell lohnen. Dank sinkender Kaufpreise und leistungsstärkerer Batterien wird die Zahl der E-Autos auf den Straßen weltweit zunehmen. Doch wenn in Zukunft Millionen Elektrofahrzeuge täglich geladen werden, stößt das heutige Stromnetz wahrscheinlich an seine Belastungsgrenze. Indem Netzbetreiber die Stromverteilung an die Verbraucher intelligent steuern, könnte ein teurer Stromnetzausbau an den lokalen Verteilernetzen umgangen werden. Forscher aus Großbritannien und der Slowakei präsentieren im Fachblatt „New Journal of Physics“ ein mathematisches Modell, das zeigt, mit welchem Verteilungsprotokoll ein Stromnetz die meisten E-Autos effizient aufladen kann.
„Netzwerkentwickler könnten Aufladeprotokolle einführen, die bei einer Flotte von elektrischen Fahrzeugen den Zugang zu Strom priorisieren“, schreiben die Wissenschaftler um Rui Carvalho von der Durham University. Dadurch würden sie hohe Netzlasten bewältigen und eine faire Stromverteilung an die Verbraucher gewährleisten. Auf der Basis einer mathematischen Optimierung wird die verfügbare Leistung im Stromnetz so an die verbundenen Elektroautos verteilt, dass diese schnellstmöglich aufgeladen werden und das Netz nicht überlastet wird. Carvalho und sein Team untersuchten zwei solcher Protokolle, die eine unterschiedliche Priorisierung bewirkten. Bei maximalem Fluss vergab die erste Funktion den gesamten verfügbaren Strom an diejenigen Ladestationen, an denen gerade Autos luden. Dadurch erhielten andere Nutzer gar keinen Strom. Ein proportional-faires Protokoll stellte dagegen sicher, dass jedem Verbraucher im Netz ein Mindestmaß an Strom zur Verfügung gestellt wurde.
Doch welcher der beiden Mechanismen kann effizienter eine Überlastung im Stromnetz verhindern? Um das herauszufinden, analysierten die Wissenschaftler das Verhalten ihres Modells bei steigender Zahl von Elektroautos, die pro Zeitintervall angeschlossen wurden. Sobald mehr E-Autos an Ladestationen andockten als diese verließen, verlängerte sich die Ladezeit. Ab einem kritischen Punkt kam das Verteilernetz nicht mehr hinterher und kaum ein Auto erhielt in absehbarer Zeit eine volle Batterie. Anders als von den Forschern erwartet, trat der kritische Überlastungszustand bei der fairen Stromverteilung später ein als unter maximalem Stromfluss. Der proportional-faire Mechanismus kann demnach in Stoßzeiten mehr Elektroautos versorgen.
Überdies berechnete das Forscherteam für beide Protokolle den GINI-Koeffizienten der Priorisierung. In der Wirtschaft beschreibt dieser Wert eine mehr oder weniger ungleiche Einkommensverteilung. Aus ihren Ergebnissen schließen die Wissenschaftler, dass die Ungleichheit der Stromverteilung im proportional-fairen Szenario sozial vertretbar wäre. Dagegen hing die Ladezeit bei maximalem Stromfluss stark von der Nähe zum Stromerzeuger ab. Ein proportional-fair gesteuertes Stromnetz behandelt die Verbraucher nicht nur gerechter, es kann zudem eine höhere Anzahl von ladenden Elektroautos verkraften.
„Das Überlastungsmanagement von Verteilernetzen wird eine entscheidende Rolle in der Elektrofahrzeugrevolution und der Distanzierung von fossilen Brennstoffen im Transportsektor spielen“, prognostiziert das Team um Carvalho. Denn amerikanischen Umfragen zufolge würden die meisten Eigner ihr E-Auto relativ zeitgleich am Abend laden – genau dann, wenn das Netz ohnehin Spitzenlasten bewältigen muss. Parallel wird das Stromnetz durch dezentrale, erneuerbare Energien noch komplexer. Deswegen kommt der intelligenten Steuerung von Stromnetzen durch optimierte Protokolle eine wachsende Bedeutung zu.